Artefakt, Formenbestimmung, Typologie
Das Problem vieler altpaläolithischer Fundplätze liegt darin, dass von allen Gütern nur Steinwerkzeuge erhalten
geblieben sind. Deshalb sprechen wir auch von der Steinzeit. Dinge, die aus organischen Materialien wie Holz,
Knochen, pflanzliche Fasern oder Fellen hergestellt wurden und mindestens eine ebenso lange Tradition haben,
sind nicht erhalten geblieben und bleiben mit ihrer vermuteten Herstellung und Verwendung weitgehend der Spekulation
überlassen. Die Herstellung von Steinwerkzeugen im Paläolithikum weist auf den Gebrauch von Sekundärwerkzeugen hin,
indem die Rohform durch Abschläge mit einem anderen Gerät bearbeitet wird oder die Abschläge selbst das Ziel der
Bearbeitung sind und als Rohform zur weiteren Bearbeitung zum Werkzeug dienen. Die meisten Werkzeuge sind, neben
der Verwendung von natürlichen Stücken, aus Abschlägen entstanden.
Es ist die typische Problemstellung vieler altpaläolithischer Fundstätten, Steinartefakte als Oberflächenfunde,
die vermutlich sehr alt sind, ohne weitere Hinweise zu datieren. Um trotzdem zu einer relativen Altersbestimmung
zu kommen, ist eine systematische Vorgehensweise unabdingbar.
Am Anfang jeder Untersuchung von Steinartefakten steht die Frage, ist das Stück ein Artefakt, also ein von
prähistorischen Menschen hergestelltes Stück mit Bearbeitungsspuren oder ist es ein Geofakt, das bei annähernd
gleichem Aussehen auf eine natürliche Entstehung zurückgeht. Steine speichern Informationen, die man „lesen“ und
abrufen kann. So hat z.B. ein Abschlag in der Regel eine Schlagfläche, Schlagpunkt, einen Bulbus und noch andere
Merkmale. Auch über die Art des Abschlags sind oft Aussagen möglich, z.B. wurde die Ambosstechnik, ein Schlagstein
oder ein Schlagwerkzeug aus Knochen oder Geweih verwendet? Sind Retuschen oder Arbeitskanten vorhanden, evtl. mit
Gebrauchsspuren? Welche Gebrauchsspuren können festgestellt werden? Gibt es weitere Bearbeitungsspuren? Sind einzelne
Oberflächen eines Objekts natürlich oder durch Abschlag entstanden? Dabei reichen meist ein oder 2 Merkmale zur
Bestimmung als Artefakt aus. Die Artefakte vom Battenberg sind fast ausschließlich aus Sandsteinquarzit hergestellt,
die im Gegensatz zu Feuerstein meist schwächere Abschlagsspuren hinterlassen, oftmals sehr schwer zu erkennen sind
und eine gewisse Erfahrung im Umgang mit solchem Material erfordert. Das zeigt sich insbesondere bei der Kantenbeurteilung.
Ist die Kantenstruktur durch den Abschlag ohne weitere Bearbeitung entstanden, ist es eine Gebrauchsretusche oder gar die
Reste einer intentionalen Retusche nach Gebrauch? Die Entscheidung, die in solchen Fällen getroffen wird, kann nicht immer
sachlich begründet werden sondern stellt oftmals ein Ergebnis der persönlichen Erfahrung unter Abwägung verschiedener
Betrachtungspunke dar, die natürlich auch anders gesehen werden kann, ohne dass solche Aussagen falsch sind.
Der nächste Schritt ist die Untersuchung der Formgebung und die Lage möglicher Arbeitskanten am Artefakt, die weitere
Aufschlüsse über die Art des Artefakts als Werkzeug geben können. Dabei entsteht aber leicht die Gefahr einer gefühlsmäßigen
Einschätzung, die das sieht, was man sehen möchte. Oftmals lässt die Form keine Deutung zu. Ein typisches Beispiel dafür ist
ein Dreifachschaber. Die durch den Abschlag erfolgte weitreichende Störung der Dorsalseite zeigt eine unregelmäßige, wenig
schöne amorphe Form. Bei genauerer Betrachtung schälen sich 3 unterschiedliche Arbeitskanten heraus. Jeweils eine Bogenschaber-,
Bucht- und Hohlschaberkante, die aber kaum Bezug zu einem Körper eines entsprechenden Einzelwerkzeugs zeigen. Die entscheidenden
Kriterien sind also bei diesem Beispiel die Arbeitskanten und nicht die Form. Ein weiteres Beispiel zeigt, dass auch die Form
bestimmend sein kann. Frostabsprünge, meist rundlich mit glatter konvexer Ventralseite, die oftmals als Schaber mit oder ohne
Retuschierung verwendet wurden, sind leicht an ihrer typischen Form zu erkennen. Hier dient die Form als Ausgangspunkt zur Suche
nach Artefaktmerkmalen wie Retuschen, Gebrauchsspuren oder sonstiger Merkmale.
Hat man das Stück als Artefakt bestimmt, kann eine typologische Einordnung erfolgen, die aber auch ihre Tücken haben kann.
Ist z.B. eine Kante gezielt hergestellt oder ist sie durch den Herstellungsprozess zufällig entstanden, hat sie eine Funktion
als Schaber-, Hau- oder Ambosskante? Gerade die beiden letzten Möglichkeiten sind oftmals kaum zu trennen, vielleicht auch,
weil sie beiden Zwecken gedient haben. Auch bei der Fülle unterschiedlicher Schabertypen treten solche Überschneidungen auf.
In solchen Fällen kommt es zu Entscheidungen, die auch anders gesehen werden können, ohne dass sie falsch sind. Weiterhin sind
Bearbeitungs- und Gebrauchsspuren zu beachten. Auch die Händigkeit eines Artefakts, d.h. wie liegt es bei der Benutzung in der
Hand, gibt es Schutzretuschen oder Griffhilfen, unterstützen die Urteilsfindung.
Damit ist die Bestimmung des Artefakts im Wesentlichen abgeschlossen und es erhält eine Zuordnung als Werkzeug- oder Gerätetyp.
Über seine praktische Verwendung kann mit diesen Methoden meist nur spekuliert werden, weil wir aus unserem heutigen
Erfahrungsschatz heraus urteilen müssen. Nimmt man aber ein Werkzeug in die Hand, zeigt das Gefühl meist die richtige
Griffhaltung, oft auch, ob der frühere Benutzer das Werkzeug links- oder rechtshändig geführt hat. Allerdings kann man nur mit
Hilfe moderner Technik wie z.B. mit dem Elektronenmikroskop feststellen, ob mit dem Gegenstand Fleisch geschnitten oder Holz
bearbeitet wurde. Auch die experimentelle Archäologie kann die Möglichkeit einer bestimmten Verwendung erschließen.. Am Ende
aller Betrachtungen schält sich dann vielleicht ein bestimmter Werkzeugtyp heraus.
Die Typologie ist, neben den Abschlag- und Bearbeitungstechniken eine entscheidende Voraussetzung für eine relative
Altersbestimmung bei Oberflächenfunden. Dazu ist aber eine gewisse Menge an Artefakten erforderlich, die man dann nach
Werkzeug- oder Gerätetypen einordnen kann. Auf dieser Grundlage kann ermittelt werden, ob sie den gleichen Typen von anderen
Fundplätzen mit gesicherter Altersbestimmung entsprechen. Dabei ist auch eine Materialgleichheit von Vorteil. Ist das der Fall,
kann man von eine Altersgleichheit ausgehen und hat dann ein relatives Alter ermittelt. Das ist eine gebräuchliche Methode
in der Archäologie, die natürlich Fragen offen lässt und deren Ergebnis mangels anderer wissenschaftlicher Grundlagen nur bestimmt
aussagefähig ist, der aber keine Alternativen gegenüberstehen. „Wo aber eine größere Anzahl behauener Objekte an einer
begrenzten Fundstelle in geomorphologisch geeigneter Situation vorkommt, können solche Bedenken zurückgestellt werden“ (Fiedler 1997).
Steinzeitkulturen zeigen bei Werkzeugen oft bestimmte Leitformen, die typisch für diese Kulturstufen sind und die eine weitere
Hilfestellung für die altersmäßige Zuordnung geben können.